Wie ein Seitensprung-Portal Millionen Kunden ins Unglück stürzte (2024)

Doku über Datenleak bei Ashley Madison

Wie ein Seitensprung-Portal Millionen Kunden ins Unglück stürzte

Wie ein Seitensprung-Portal Millionen Kunden ins Unglück stürzte (1)

Wirkt, als hätte sie mit ihrer Vergangenheit abgeschlossen: Nia Rader führte eine glückliche Ehe, bis ein Fremdgehportal gehackt wurde, und unter den geleakten Daten die ihres Mannes Sam waren. Szene aus der Netflix-Doku "Ashley Madison: Sex, Lügen und der Skandal".

Quelle: Netflix

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Eine kanadische Dating-Website verspricht diskrete Sex-Abenteuer - und Millionen machen mit. Doch dann wird das Portal von Hackern angegriffen, die Kundendaten werden öffentlich. Die Netflix-Doku „Ashley Madison: Sex, Lügen und der Skandal“ lässt die Betroffenen zu Wort kommen. Das ist dramatisch - und voyeuristisch.

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Matthias Halbig

In weiten Teilen der Welt hat der Frauenname Ashley Madison einen reichlich verruchten Klang. Es ist ein Chiffre für untreue Ehepartner. Die Dating-Website mit den zwei weiblichen Vornamen ist in Deutschland weniger bekannt, in Nordamerika und anderen Teilen der Welt war sie in den 2010er-Jahren ein echter Hit. Der prägnante Slogan, den der Ashley-Madison-Chef Joel Biderman erfunden hatte, lautete: „Das Leben ist kurz, gönn‘ dir eine Affäre“.

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Das Angebot wandte sich an – bis auf den Sex – glückliche Eheleute, die ihre Partner nicht verlieren, sich aber vom Reiz körperlichen Neulands überwältigen lassen wollten. Kein Risiko einer oder eines Geliebten, die oder der am Ende doch mehr sein wollte, als nur ein Some-Nights-Stand. Versprochen wurde verantwortungsvoller Umgang mit den persönlichen Daten, 100-prozentige Geheimhaltung. Dafür stand auch der Trusted Security Award auf der Firmenwerbung.

Das Geschäftsmodell funktionierte. Im Sommer 2015 war die Kundschaft – angeblich Frauen und Männer gleichermaßen – auf 37 Millionen Nutzer angewachsen. Dann passierte die Katastrophe. Die Seite wurde gehakt, die Diskretion, der Kern des Seitensprungbörse, war gefährdet. 30 Tage gab das „Impact Team“, so der Name der Hackergruppe, dem Unternehmen, um die Geschäfte einzustellen. Sonst sollten die brisanten Kundendaten veröffentlicht werden. Biderman saß die Sache aus, die Daten werden öffentlich.

Dreiteilige Doku versetzt den Zuschauer in Spannung

An diesem Punkt setzt die dreiteilige Dokumentation „Ashley Madison: Sex, Lügen und der Skandal“ an. „Solange Männer Penisse haben, wird es Ashley Madison geben“, sagt etwa Evan Back. Er war der bis 2017 Vertriebsvize bei der kanadischen Dating-Website. Back fungiert als eine Art Entertainer in der Netflix-Doku, ein Clown im rosa Palmenshirt, der mit dem breitesten Grinsen und überdimensionalen Brillen an seinem Pool sitzt oder in seinem Wohnzimmer und die meiste Zeit höchst vergnügt über das plaudert, was bei Ashley Madison so alles passiert ist. True-Crime-Comedy. Obwohl das, um was sich die Mini-Dokuserie dreht, wenig komisch ist.

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Denn das Sicherheitsversprechen des Unternehmens hatte sich in Wahrheit in der Hoffnung erschöpft, niemals gehackt zu werden. Mitarbeiter plaudern in der Doku aus dem Nähkästchen, später kommen Ermittler und ein Darknet-Taucher zu Wort, der tatsächlich eine Spur der Hacker findet.

Der Fokus aber liegt auf den Geouteten und ihren Angehörigen. Auf einem Paar etwa, das eine offene Ehe führt und für das das Auffliegen der Ashley-Madison-User kein Beziehungsproblem wurde. Auf einer Frau namens Christi, die von ihrem Mann John erzählt, den man beunruhigenderweise nie sieht. Und vor allem auf Nia und Sam, einem jungen Paar, zwei, die sich offenbar wirklich lieben, wobei Sam es eben auch liebt, mit anderen Frauen zu schlafen. Wenn es keiner weiß, kann es ja wohl auch keinem schaden.

Viva Dokutainment! - Musik, Dramaturgie und Stilleben der Lust

Der Netflix-Dreiteiler versetzt den Betrachter in Spannung, das ist bei Dokumentationen der True-Crime-Sorte längst üblich. Man sieht Szenen mit Schauspielern, zudem Stilleben der Lust (Spitzenwäsche auf Teppichen, zerknautschte Kissen auf Betten) – banale Illustrationen der Gier auf den Seitensprung, die der Zuschauer nicht unbedingt zur Anregung der eigenen Vorstellungskraft braucht. Alles wird zugespitzt, Ein Countdown läuft auf den Leak zu, und der von Musik und Dramaturgie gesteuerte Zuschauer ertappt sich dabei, darauf gespannt zu sein, wie für die User die Welt zusammenbricht. Was im Fall von Sam echte Thrillerqualitäten hat.

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Ein Stoff, sich zu ereifern. Weniger über die Fremdgehenden als über die skrupellose und betrügerische Firmenleitung unter dem zu aller Skrupellosigkeit auch noch bigotten Biderman (er behauptet bis zum Beweis des Gegenteils, monogam zu leben), dessen Unternehmen, wie sich herausstellt, die ganze Zeit Geld dafür nahm, dass viele männliche Kunden statt mit einem sextalkfreudigen echten weiblichen Gegenüber mit einem Bot kommunizierten. Was die Tragik noch erhöht.

Ferner über die scheinmoralischen Hacker, die Brandstifter, die mit ihrem Verbrechen millionenfaches Unglück verbreiteten, über die üblichen und zahlreichen Ersten-Stein-Werfer der Sozialen Medien, die mit den „Sündern“ brachen, und über Skandalmedien, die verlässlich zur Hexenjagd bliesen oder – wie ein australischer Radiosender – sogar aktiv daran teilnahmen. Am Ende ereifert man sich auch über sich selbst, weil man drei Folgen dabeiblieb, statt diese manipulative Show nach zehn Minuten abzuschalten.

Ganz billig hat man sich von Netflix zum Voyeur machen lassen. Der Dreiteiler ist ein weiterer Nachweis dafür, wie das Faktengenre Doku zu Dokutainment schrumpft. Es wird mit der Lust auf Nervenkitzel und fremdes Leid gespielt.

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Eine Doku, die immer wieder wie ein Spielfilm wirkt

Die ganze Zeit über erinnern sich die betrogene Nia Rader und der dauerzerknirscht wirkende Sam allein an getrennten Orten, wie alles kam, aufflog, und schließlich immer mehr gestanden werden musste. Nia wirkt wie jemand, der mit der Beziehung abgeschlossen hat, Sam wie einer, der seinem verspielten Glück nachtrauert. Am Ende nehmen beide nebeneinander Platz – et voilà – sie sind ja doch noch zusammen.

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Die True-Crime-Comedy-Doku, die einem oft wie ein Spielfilm vorkommt, schließt allen Ernstes mit einem Happyend. Froh sei er am Ende, wie alles gekommen ist, so sagt allen Ernstes Sam. Nur so habe er reifen können.

Drama, Baby! Die Liebe siegt und irgendwie fühlt man sich nach den knapp drei Stunden um eine Doku betrogen. Man kann allerdings eine Botschaft in „Ashley Madison: Sex, Lügen und der Skandal“ finden: Dass man, um einen Song von Pat Benatar zu zitieren, Sex nicht als Waffe benutzen sollte.

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Denn John, der Mann von Christi, ein Ausbilder von Pastorennachwuchs, fehlte nicht von ungefähr im Film. Er hatte sich nach Bekanntwerden seiner Ashley-Madison-Mitgliedschaft vor Scham in seiner Garage mit Abgasen vergiftet. Zu vermuten steht, dass sich damals viele Menschen, überwältigt von der Stunde der Wahrheit, das Leben nahmen. Zumindest wird das in der Miniserie angedeutet.

So ist der Skandal nach dem Skandal, dass es Ashley Madison immer noch gibt. Vermutlich wegen der Sache mit den Penissen. Das Portal hat heute nach Netflix-Angaben sogar 70 Millionen Nutzer weltweit - und jetzt hoffentlich auch echte Sicherheitszertifikate.

„Ashley Madison – Sex, Lügen und der Skandal“, Doku-Miniserie, drei Episoden (streambar bei Netflix)

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Author: Velia Krajcik

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